In den Seelsorgegesprächen, die ich in der letzten Zeit mit vielen lieben Menschen führen durfte, ist immer wieder die Sehnsucht nach Vergebung aufgetaucht. Es war sowohl der Wunsch danach vergeben zu können, als auch Vergebung zu empfangen. Dabei ging es eigentlich immer um Menschen, die uns doch nahe stehen. Dass wir gerade unseren Liebsten Liebe schuldig bleiben, geht uns am meisten zu Herzen.
Wir Menschen bleiben anderen und uns selber immer etwas schuldig, weil wir nicht vollkommen sind. Diese Wahrheit gilt es in Demut anzunehmen. Annahme ist die Voraussetzung für Verwandlung. Wenn wir nicht lernen einander und uns selbst zu vergeben, gehen wir kaputt. Was wäre ich heute und wo wäre ich heute, wenn mir manche Menschen keine zweite Chance geschenkt hätten? Eine Welt ohne Vergebung kennt keine Gnade und ist unbarmherzig! Das eigene Herz wird zum Gefängnis, das meine Lebensfreude fesselt.
Wir alle sind verwundete Menschen. Am tiefsten haben uns die verwundet, die wir am meisten lieben. Und ebenso umgekehrt.
H. Nouwen schreibt: „Vergebung bedeutet: fortwährend bereit sein, einem anderen Menschen zu verzeihen, dass er nicht Gott ist: dass er mein ganzes Verlangen nicht zu erfüllen vermag. Auch ich muss um Vergebung bitten, dass ich nicht imstande bin, das Verlangen anderer zu erfüllen.“
Wir sind Menschen, nicht Gott. Das Bemerkenswerte dabei ist, dass ich in der Vergebung gerade wieder den Blick frei bekomme für die Liebenswürdigkeit des anderen und ihn neu als Widerschein der Liebe Gottes erkennen kann; wenn auch als gebrochenen Widerschein.
Wo das nicht geschieht gleicht mein Herz einer kalten Gruft, in der ich meine Wünsche, Hoffnungen und Sehnsüchte aus Angst vor Enttäuschung zu Grabe getragen habe. Auch Menschen liegen hier begraben, die für mich gestorben sind. Zuletzt finden sich dort auch die zerbrochenen Bilder von mir selbst. Es ist der ganze Scherbenhaufen meines Lebens, der Zeugnis davon gibt, wie gebrochen meine Existenz ist. Auf dieser Grabkammer liegt ein gewaltiger Stein, der mein Leben belastet.
Der Glaube an die Auferstehung ist ein Glaube, der darauf setzt, dass Gott aus den Fragmenten meines Lebens ein wundervolles Bild gestalten möchte, und dass ihm die wenigen Bausteine dazu genügen.
Wo ich nur Unvollendetes sehe, erblickt Gott das Vollendete; wo ich nur Bruchstücke sehe, erblickt Gott das Vollkommene; wo ich im Spiegel einen rätselhaften Menschen sehe, erblickt Gott in mir sein Ebenbild! Dieser Blick schafft Leben!
Wer an die Auferstehung glaubt, wählt die Perspektive Gottes. Er räumt den lebensverneinenden Kräften nicht die letzte Macht über sich ein, sondern weiß um den Sieg der Liebe. Aus diesem Grund sollen wir mit unserer tiefsten Sehnsucht zu Gott kommen und ihm unser Herz öffnen und hinhalten. Dort wird die Sehnsucht gestillt, weil ich Gottes bedingungsloses Ja hören kann. Damit beginnt die Versöhnung mit mir selbst, mit meinen Mitmenschen und meinem Gott. Das ist Auferstehung mitten im Leben! Und immer wenn wir in das Geheimnis der Versöhnung hineingenommen werden, werden wir neu geboren. Nie sind wir Jesus so nah wie in den Momenten der Vergebung.
Euer Mitpilger
P.S. Die nächsten Gottesdienste sind am 13.10. und 10.11. jeweils um 10.00 Uhr.
Foto: Volker Krieger